Einleitung
Der Nio ET5 Touring positioniert sich als wichtiger elektrischer Kombi am Markt und füllt eine Lücke, die viele traditionelle Hersteller bisher vernachlässigt haben.
Mit seinem in München entworfenen Design und dem Fokus auf hochwertige Verarbeitung tritt der chinesische Newcomer selbstbewusst gegen etablierte Konkurrenten wie Tesla Model 3, BMW i4 und Polestar 2 an.
Er vereint elegantes Auftreten mit beeindruckender Leistungsfähigkeit und signalisiert einen Wandel im Premium-Elektrofahrzeugsegment.
Design & Verarbeitung
Das Design des Nio ET5 Touring wird durchweg gelobt und als "optische Wucht" beschrieben. Mit seinen sanften Rundungen, der ausdrucksstarken Front und dem schicken Shooting-Brake-Heck, das an Audi A7 oder Porsche Taycan Sport Turismo erinnert, avanciert er zu einem Blickfang. Das in München entwickelte Design wirkt eigenständig und modern.
Die Verarbeitung des Fahrzeugs ist auf einem sehr hohen Niveau. Die Materialien im Innenraum sind hochwertig und vermitteln ein luxuriöses, loungeartiges Ambiente. Details wie die geschickt integrierten und zugfreien Lüftungsdüsen unterstreichen den Premiumanspruch.
Mit einer Länge von 4,79 Metern und einer Höhe von 1,50 Metern orientiert sich der ET5 Touring an klassischen Mittelklasse-Kombis wie dem Audi A4 Avant.
Innenraum & Komfort
Der Innenraum präsentiert sich aufgeräumt, minimalistisch und modern, stark inspiriert von Teslas Designphilosophie. Die Materialqualität und Verarbeitung sind hervorragend und schaffen ein angenehmes Wohlfühl-Flair. Allerdings gibt es Kritikpunkte bezüglich des Raumgefühls, insbesondere für größere Personen.
Große Fahrer (ab ca. 1,85 m Körpergröße) empfinden die Kopffreiheit als zu gering, die Sitze lassen sich nicht ausreichend tief verstellen. Auch im Fond ist die Kopffreiheit für Passagiere über 1,90 m eingeschränkt, und die erhöhte Sitzposition kann auf längeren Fahrten unbequem sein.
Die Rundumsicht nach hinten ist aufgrund der sehr schmalen Heckscheibe und wuchtiger C-Säulen stark eingeschränkt. Das große Panorama-Glasdach, das bis zum Heck reicht, sorgt zwar für einen hellen Innenraum, lässt sich aber nicht verdunkeln.
Das Kofferraumvolumen liegt mit 415 bis 450 Litern (normal) und bis zu 1300 Litern (bei umgelegten Rücksitzen) im Klassendurchschnitt. Praktische Details wie ein doppelter Ladeboden mit 42 Litern zusätzlichem Stauraum, Befestigungshaken und eine herausnehmbare Taschenlampe werden positiv hervorgehoben. Ein Handschuhfach ist nicht vorhanden, die Ablagemöglichkeiten sind generell eher puristisch gehalten.
Infotainmentsystem
Die Bedienung des Nio ET5 Touring läuft größtenteils über einen großen, hochkant verbauten Touchscreen in der Mittelkonsole. Dieser überzeugt mit seiner hohen Auflösung und schnellen Reaktionszeit. Allerdings erfordert der weitgehende Verzicht auf haptische Tasten ein Umdenken.
Grundfunktionen wie die Einstellung der Klimaanlage oder der Außenspiegel sind tief in den Menüs vergraben, was von vielen Testern als umständlich und ablenkend empfunden wird. Die Sprachassistenz "Nomi", eine KI auf dem Armaturenbrett, ist charmant und reagiert auf grundlegende Befehle, ihre Fähigkeiten sind jedoch begrenzt und können manchmal als zu aufdringlich wahrgenommen werden.
Weitere Kritikpunkte betreffen das Fehlen von Apple CarPlay und Android Auto, da Nio auf eine eigene Software-Integration setzt. Das Navigationssystem plant zudem keine Ladestopps und zeigt keine Verfügbarkeit von Ladesäulen an.
Antrieb & Fahrverhalten
Der Nio ET5 Touring ist mit einem leistungsstarken Allradantrieb ausgestattet, der von zwei Elektromotoren (150 kW vorne, 210 kW hinten) angetrieben wird. Die Systemleistung beträgt beeindruckende 360 kW (490 PS) und das maximale Drehmoment 700 Nm. Dies ermöglicht eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in extrem schnellen 3,9 bis 4,0 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h.
Das Fahrgefühl wird als exzellent und ausgewogen beschrieben. Der Kombi lässt sich präzise lenken und das Ansprechverhalten ist messerscharf. Gleichzeitig kann der ET5 Touring auch als entspannter Reisegleiter dienen. Eine Vielzahl an Fahrmodi (Eco, Komfort, Sport, Sport Plus) erlaubt eine Anpassung an individuelle Vorlieben; der Individualmodus, in dem Fahrwerk und Lenkung detailliert konfiguriert werden können, wird jedoch nach jeder Fahrt zurückgesetzt.
Das Fahrwerk ist tendenziell straff abgestimmt, was für sportliche Fahrten vorteilhaft ist, aber auf schlechten Straßen zu Einbußen im Komfort führen kann. Die Lenkung wird als präzise beschrieben, kann aber im Komfortmodus etwas synthetisch wirken. Die Bremsen sind gut dosierbar und verzögern das Fahrzeug auch aus hohen Geschwindigkeiten souverän.
Verbrauch & Unterhalt
Der Nio ET5 Touring ist mit einem 75-kWh-Akku (WLTP-Reichweite 435-456 km) oder einem 100-kWh-Akku (WLTP-Reichweite 560-590 km) erhältlich. Die im Test gemessenen Realreichweiten variieren stark je nach Fahrprofil und Bedingungen, liegen aber oft zwischen 333 km (sportlich) und über 500 km (effizient). Der Durchschnittsverbrauch wird im ADAC Ecotest mit 20,1 kWh/100 km als sehr effizient bewertet, kann jedoch im Alltag deutlich höher ausfallen.
Einzigartig ist Nios Batteriewechselkonzept, bei dem ein leerer Akku in 5 bis 10 Minuten gegen einen geladenen getauscht werden kann. Die Ladeinfrastruktur für diese "Power Swap Stations" ist in Deutschland jedoch noch sehr dünn. Die DC-Schnellladeleistung wurde zwischen den Testgenerationen verbessert und erreicht nun Spitzenwerte von bis zu 183 kW, was Ladezeiten von 10 auf 80 Prozent in etwa 23 Minuten ermöglicht. Die AC-Ladeleistung beträgt 11 kW.
Preislich startet der ET5 Touring bei 47.500 Euro ohne Batterie. Die Batterien können separat erworben (12.000 € für 75 kWh, 21.000 € für 100 kWh) oder gemietet werden (169 €/Monat für 75 kWh, 289 €/Monat für 100 kWh). Alternativ gibt es Abo-Modelle ab ca. 999 Euro monatlich. Die Gesamtkosten können somit ein selbstbewusstes Niveau erreichen. Die Zuverlässigkeit und Langzeit-Serviceerfahrung sind aufgrund des jungen Markteintritts noch nicht umfassend bewertbar.
Sicherheit & Assistenzsysteme
Die Limousinen-Version des Nio ET5 wurde von Euro NCAP mit der Bestnote von fünf Sternen ausgezeichnet. Besonders hervorzuheben ist der Schutz erwachsener Insassen (96 Prozent). Auch Kinder-, Fußgänger- und der Schutz durch Assistenzsysteme erhielten sehr gute Bewertungen.
Technisch ist der ET5 Touring mit einer umfassenden Sensorik ausgestattet: 33 Sensoren, acht Kameras und ein LiDAR-System (hinter den charakteristischen "Haifischflossen" auf dem Dach) scannen permanent die Fahrzeugumgebung. Diese Hardware ist für zukünftige Entwicklungen im autonomen Fahren ausgelegt.
Zur Standardausstattung gehören zahlreiche Airbags und Isofix-Befestigungen. Umfangreiche Assistenzsysteme wie Fußgänger- und Radfahrerschutz, Rückfahrwarnungen, Türöffnungsassistenten, Geschwindigkeits-, Spurhalte- und Müdigkeitswarner sind serienmäßig. Einige dieser Systeme werden von Testern jedoch als übervorsichtig oder zu aufdringlich beschrieben, mit abrupten Eingriffen oder permanenten Warnungen, die sich nicht immer dauerhaft deaktivieren lassen.
Fazit
Der Nio ET5 Touring präsentiert sich als ein stilvoller und leistungsstarker Elektro-Kombi, der mit seinem gelungenen Design, der hochwertigen Verarbeitung und einem beeindruckenden Antriebsstrang überzeugt. Er füllt eine wichtige Marktlücke und positioniert sich als ernstzunehmende Alternative zu etablierten Premium-Fahrzeugen, insbesondere mit seinem innovativen, wenn auch noch eingeschränkten, Akku-Wechselkonzept.
Trotz dieser Stärken gibt es Bereiche, in denen Nio noch nachlegen muss: Die Kopffreiheit für große Personen ist optimierbar, die Bedienung des Infotainmentsystems könnte intuitiver sein, und die Infrastruktur der Wechselstationen muss dringend ausgebaut werden. Das tendenziell straffe Fahrwerk ist nicht jedermanns Sache, und einige Assistenzsysteme wirken bevormundend.
Insgesamt bietet der Nio ET5 Touring ein attraktives Gesamtpaket für Käufer, die einen sportlichen, gut ausgestatteten und qualitativ hochwertigen Elektro-Kombi suchen und bereit sind, die genannten Kompromisse einzugehen. Mit weiterem Feinschliff und dem Ausbau der Infrastruktur birgt Nio das Potenzial, noch stärker im europäischen Markt Fuß zu fassen.